Hausfreunde

Ein Märchen für Kinder und Erwachsene

für alle zum Mitschreiben

 

Zeichnungen von Kindern des Landesschulzentrums für Hör- und Sehbildung - Michael Reitter Schule

 

http://lszhs-linz.ac.at

 

Foto Raumschiff

mit freundlicher Genehmigung von

Mag.Hermann Fuchs

http://www.sehfelder.at

 

 

Am A vorbei 

 

Sie üben den Aufstand gegen den Unverstand. Alles ist durcheinander.

 

Wer braucht sie noch? 

 

Das eM stürmt aus der Mitte außen rechts vorbei. eR rotiert rund um eS. Sie drängen nach vor, poltern gegen das Zet. Seine Ecken und Kanten halten stand. Es will nicht loslassen, ist fest verankert im Jahrtausende alten Bollwerk des Wissens. Wie lange hält es noch? Massen strömen aus dem Tümpel des Nicht-Gebraucht-Werdens, aus der Kloake der Unwissenheit. Sie formieren sich rund um das eM.

 

eM wie Mut; Mut der Verzweiflung. „Wir wollen leben“. rufen viele. Das eL schließt sich an.       eL wie Leben, Lachen, Liebe und Lust. Das De wie Denken ist noch unentschlossen, mahnt zur Vernunft und ruft das We wie Waage zu Hilfe. „Alles abwägen, alles abwägen,“ skandiert dieses.

 

„Hört auf das We“, ruft das Ha, wie Hoffnung. „Vielleicht kommt noch alles ins Reine, zur Ruhe“. Nervös zuckt das eR hin und her. Mal rechts, mal links. Nein wir rennen, rennen dagegen, empört es sich plötzlich. Gewartet haben wir lange genug.

 

„Lasst uns nachdenken, nur ein wenig“ lispelt das I, verbiegt sich dabei zu einem Fragezeichen und flüstert „ich bin der Meinung…“. Seine Stimme versagt, hat es doch seinen I-Punkt, sein schützendes Dach über dem Kopf verloren.

 

„Geht euch jetzt endlich der Knopf auf“? Das Ka schreit seine Kommandos in die Menge. U wie Unwissenheit, De wie Dummheit und E wie Empörung eilen ihm zu Hilfe. Das We  wie Waage mutiert zur Wut. Sie folgen ohne Widerspruch den Befehlen. „Los, marschiert endlich“, befiehlt das Ka. Es ist nicht mehr zu bremsen.

 

Plötzlich marschieren alle los. Hand in Hand, in Reih und Glied. Eine Kette. 

 

„Gebt uns Arbeit und Brot zu Leben, für ein Leben in Freiheit. Wir wollen leben, leben können“.

 

Eine Kette, diese Kette von Y bis Be marschiert, marschiert am A vorbei.

 

A wie Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit, der schwammige Nährboden zum Aufstand bietet ihnen keinen Halt, kein Halt.

 

 

Fragen, Fragen, Fragen - eF schüttelt sich: „Brauchen wir noch Buchstaben, dieses Heer an Worte?

 

Ein Ce muss an die Macht. Computer sind die Lösung, die absolute Freiheit.

 

Meine Gleichung stimmt sicher“, sinniert das F vor sich hin: „Keine Kriege, kein Chaos, keine Willkür, keine Fragen. Computergesteuerte Herzen, stahlharte Algorithmen. Computer an die Macht“, das ist die Lösung. 

 

„Aber“ erhebt das A Einspruch. „Arbeit und Lohn würden uns doch genügen“.

 

©Rb März 2019

 

 

 Die Stützen der Gesellschaft 

Im Staat der Ameisen  

„Du magst ja recht haben, aber….“

 

Wie immer, wenn Renate und Sonja diskutieren, fetzen ihre Worte bis an den Rand des Erlaubten, des noch Tolerierbaren.

 

Renate und Sonja, Freundinnen.

 

Lebensumstände prägen dich. Du hast überhaupt keine Chance aufzustehen, etwas anderes zu tun, sagt Renate zu Sonja.

 

Du meinst dein Lebensweg ist schon vorgezeichnet, ferngesteuert läufst du entlang einer Schiene, ohne jegliche Chance davon abzuweichen?“  zischt Sonja zornig. Niemals. Jeder hat eine Chance.“

 

„Möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich“, antwortet Renate gelassen und lässt sich auf einem der Sessel, die einladend vor einem Cafe stehen nieder.

 

Ein Kellner beobachtet amüsiert die Szene. „Was darf ich ihnen zur Versöhnung servieren?“

 

Renate bestellt zwei Gläser Prosecco.

 

Mit einer weit ausholenden Geste  zeichnet sie einen Kreis mit der rechten Hand in den vor ihnen liegenden Gehweg und greift gleichzeitig mit der linken nach ihrem Glas. Die Bläschen des Prosecco prickeln in ihrer Nase.

 

„Ist es nicht schön hier?“, meint sie versöhnlich um ihre Unterhaltung in eine andere Richtung zu lenken. 

 

Sonja will die Diskussion jedoch noch nicht beenden.

 

„Ach was, hier und jetzt über Chancen eines Menschen zu reden, fällt uns leicht. Wir sitzen hier, nippen an unserem Prosecco, Menschen ziehen an uns vorbei“ ... sagt Renate und stellt ihr Glas zurück auf den Tisch. „Aber woher du kommst, wer du bist? Das sind die elementaren Fragen, die dir unsere Gesellschaft stellt“. Das Wort „Voreingenommenheit“ diktiert deinen Lebensweg. Bildung? Bekommst du sie nicht in die Wiege gelegt, dann arbeite daran, aber deine Herkunft begleitet dich dein ganzes Leben.

 

Schau dich um. Aufstehen, arbeiten fahren (meist mehr als eine Stunde Hin- und Rückweg), 10 Stunden werken,  nach Hause, schlafen gehen, Wecker läuten…. das ist das Los der Menschen, die die Fundamente unserer sozusagen Gesellschaft tragen. Niemand sieht sie, niemand nimmt sie wahr und doch ….Sie werken. Ameisen gleich, hoffen auf ein besseres Leben für ihre Kinder.  Ich weiß das alles, aber was kann ich daran ändern? Nichts. Also wozu sich aufregen?“

 

Der Kellner nähert sich ihrem Tisch, wischt mit einem Tuch fiktive Brösel von der Tischplatte und fragt grinsend:

 

„Darf`s noch was sein die Damen?“

 

Ja, vielleicht fürs erste …. Renate überlegt, lächelt ihn an und sagt: „Wir wollen abends ausgehen, tanzen vielleicht?  Hätten sie einen Tipp wohin?“

 

„Tja, lassen sie uns mal überlegen. Wonach ist Ihnen? Salsa, Hipp-Hopp, Blues oder Groove, Single dance?“ „Am besten wär`s Sie ….“ lächelt ihn Renate schelmisch an.

 

Der Kellner versteht die Frage sofort. „Nach einem 14-Stunden-Tag, so wie heute, laufen dem Tanzpartner der gerne zur Verfügung stehen würde, die Füße davon. Die wollen lieber abhängen, keine Kommunikation, keine Bewegung oder Regung. Nur Dasein.

 

Augenzwinkernd will er sich schon entfernen, dreht sich jedoch noch einmal um und meint:  Anstelle der Konzertfreikarten hätte ich morgen eine Demo anzubieten:

 

Verdutzt schauen sich Renate und Sonja an.

 

Tja, ich habe einige Sätze ihrer Diskussion mitbekommen und genau deswegen….. nun ist der Kellner in seinen Erläuterungen nicht mehr zu bremsen…..

 

Er beendet seine Ausführungen mit dem Satz: „Der Verstand hält dem Fortschritt nicht stand.

 

Wir müssen unsere Zeit neu beginnen, zusammenstehen: Freiheit, Brüderlichkeit, Menschlichkeit“.

 

Sonja ist begeistert.

 

„Aber das hatten wir doch schon einmal, oder?“

 

 

Eine Nacht unter freiem Himmel 

 

Leuchtet dir die Sonne noch? 

Ich bin ein Marienkäfer, du auch? Komm flieg mit mir dorthin. Auf die Insel meine ich, mitten im Wald. Nur wenige Stunden ist der Flugkorridor geöffnet. Dort wirst du Mensch. Du kannst das Menschsein kosten. Für eine Nacht. Komm beeile dich. Den Rest des Jahres reichen sich die Bäume einander die Hände. Sie sind gut vernetzt. Dann ist ein Durchkommen nicht mehr möglich.

 

Ich will nicht länger hier bleiben, gegen Glasfenster fliegen. Kaltes Glas, mit dem die Menschen auch ihre Herzen verschließen. Kommt ein Sturm auf, zerbirst dieses vermeintlich Bruchsichere, fällt einfach in sich.  

 

Hast du schon einmal durch diese Fenster gesehen? Durch die Fassaden?  Hier ist kein Platz mehr für uns. Nichts als Schein. Flieg nicht in dieses scheinbare Licht. Es frisst dich. Du verglühst, bist gefangen in einem Traum – Albtraum.

 

Sieben Punkte habe ich mitbekommen auf meine Reise. Du auch? Du weißt schon – Glückspunkte. Einen davon habe ich einem Kind geschenkt. Damals, es war so allein und traurig. Ich hatte ja noch sechs übrig. Ein Mensch hat 10 Finger. Ein Finger? Für dieses Kind?

 

So viele Kinder. Es braucht viele Punkte. Wir sind viele. Marienkäfer meine ich.

 

Aber die meisten von uns retten sich. Weit fort. Sie treiben im Sog des Glücks auf unsere Insel. Wollen wir auch? 

 

Mir fällt ein einmal habe ich einen meiner Punkte für mich verschwendet. Ob ich das durfte? In meiner Not habe ich nicht danach gefragt. Na gut, jetzt habe ich nur noch fünf, Glückspunkte.

 

Drei Punkte kostet der  Eintritt in die Insel. Am Tor steht ein Automat oder ein Roboter? Menschen? Menschen machen keine Pförtnerdienste für andere.  

Komm mit, schnell.Unser Ziel ist nicht mehr weit.

 

Sie nicht auf das, was den Straßenrand säumt. Nur Unkraut und Mist. Niemand fegt die Straßen. Wohin wohl mit dem Müll? Er lebt noch? Was solls! 

Jetzt bin ich an der Reihe. Ich für mich. Es sind meine Punkte. Ich teile nicht mehr. Ich möchte sie auch erleben, diese eine Nacht unter freiem Himmel mit seinen unzähligen Sternen. 

Rb 

 

 

 

Noch einmal wollte sie schweben

 

Die Unwahrscheinlichkeit der Liebe

 

Darf ich“? fragt er, nimmt einen Sessel und sitzt an ihrem Tisch.

 

„So einfach ist das, denkt sie“, klappt ihren Mund wieder zu, der die Antwort eigentlich nicht schlucken wollte. Sie ist es nicht gewohnt, ungefragte Gegebenheiten hinzunehmen. Unbekümmert meint er:

 

Wissen Sie, hier ist es nicht einfach den richtigen Platz zu finden“. Er sieht sie an und lächelt.

 

Sie hatte das Gefühl er schaue, schaue in sie und sieht.

 

„Was?“ entfährt es ihr.

 

Wie bitte?“ fragt er zurück. Er redet, redet, erzählt ihr sein Leben. Viele Worte sprudeln an ihr vorbei. Bauer sei er. Sie horcht wieder auf, schaut auf seine Hände, will nicht glauben, dass er, will etwas sagen, aber …..

 

Das Leben am Bauernhof gefalle ihm, die Pferde, die Kühe und …..

 

Sie spürt seine Wärme, sie kommt aus ihm. Es ist ….

 

Sie fühlt ein leichtes Kribbeln in ihrem Nacken. Unwillig schüttelt sie den Kopf.

 

„Wie können sich Parallelwelten treffen“, denkt sie. „Er ist Bauer,“  jedoch ….

 

Aber irgendwie, sie mag …..

 

Er lächelt sie abermals an. Lachfalten um seine Augen, seine Augenbrauen schwingen leicht, seine Worte vibrieren in ihren Ohren, ihr Herz stolpert.

 

„Wie können sich Parallelwelten“ treffen denkt sie abermals. Aber eigentlich müsste es zwei völlig verschiedene Welten heißen. Parallelen sind doch,….

 

Eine Parallele, zwei nebeneinander laufende Schienen, ihr Treffpunkt …..

 

Sie reichen einander die Hände“ meint er .

 

„Wie bitte?“ fragt sie.

 

Na die Gedanken“, meint er. „Sie verhaken sich.

 

Sie sind still…. und ich, ich schweige und frage mich …..

 

„Ich dachte, sie sagen jetzt Schienen, das wäre“ ….

 

Zu einfach?“ fragt er zurück. „Wieso Schienen?“ Irritiert schüttelt er den Kopf.

 

Aber zurück auf meinen Bauernhof. Gedanklich meine ich natürlich“, sagt er und schmunzelt. Er bemerkt ihre aufsteigende Röte an ihren Wangen.

 

„Ich möchte ihnen noch unbedingt von meinem alljährlichen Besucher erzählen.  Ein Igel. Er hat sich bei mir zu Hause eingenistet. Ein Igel , der mich scheinbar mag. Aber er ist eben ein Igel oder eine Igelfrau?  Kommt man ihr zu nahe“….. „stellt er die Stacheln auf“ ergänzt sie und lacht.

 

Sie weiß, sie will ….

 

Sie lacht alles weg. Ob er wirklich ein Bauer ist. Parallelwelten, spukt es wieder durch ihren Kopf. Niemals wird das, kann das funktionieren.

 

Wollen sie trotzdem von sich erzählen“, fragt er sie vorsichtig.

 

Sie erzählt nicht vom Hier und Jetzt, nichts vom Stress der letzten Tage, von den Intrigen im Büro, von den Narben der Verletzungen  in letzter Zeit. „Eine Seele ist wie Moos. Sie kann vieles aufsaugen, bedeckt alles“, denkt sie, „aber….

 

Sie blickt weit zurück. Er hat Bilder in ihr geweckt, Bilder die sie verdrängt hatte. Sie passten nicht in diese Zeit, in die Welt, in der sie jetzt lebte.

 

Währenddessen suchen ihre Hände einander. Berühren sich, zucken auseinander, gleiten wieder zurück. Ihre Finger verschlingen, genießen gemeinsam die tanzenden Strahlen der Sonne, die durch das Fenster scheint. Stille im Raum.

 

Sie erzählt aus ihren Kindertagen, Ballspielen und Tortenwettessen.

 

„Haben Sie schon einmal die Apfelblüten auf einem Apfelbaum gezählt“, fragt sie ihn unvermittelt.

 

Ein Birnenbaum  wird es nicht gewesen sein“ antwortet er und …..

 

Ein Gongschlag ertönt. Sie fällt vom Apfelbirnenbaum. „Warum hat er nur?“….

 

„Meine Damen und Herren, wechseln Sie bitte abermals ihre Sitzplätze zur 7. Runde bei unserem beliebten Speed Date.“

 

tschüß

Rb Nov. 2017

 

 

 

Babuschka 

Worte zerfetzen im Sturm. 

er sagt, er sagt nichts 

Er sagt nichts mehr und geht. 

 

Anna sagt nichts mehr. 

Legt einen Stahlkessel um ihr Herz. 

Hebt den Fuß, 

will, will alles zertreten. 

Hört, hört eine Stimme 

hält inne, mitten im Schritt. 

 

Halt! Sagt sie, die Stimme, befiehlt ihr stillzustehen, anzuhalten. 

Anna hört ihr Herz schlagen, hämmern, gegen den Stahl. 

„Halt und Schluss!“ sagt die Stimme abermals. „Bist du verrückt geworden?“ fragt sie.

 

„Nein, erwidert Anna, schreit es förmlich hinaus. „Aber es ist zum Verrücktwerden!“

 

„Was?“ fragt die Stimme.

 

„Ja, eigentlich ….“ antwortet Anna, blickt auf die Puppe und fragt:  „…. wer bist du eigentlich? Eine Sekunde lang denkt sie darüber nach, ob sie jetzt wirklich verrückt geworden ist. Sie spricht mit einer Puppe.

 

„Ich bin Fünf.“ antwortet diese.

 

„Was fünf?“ fragt Anna.

 

„Was immer du hören willst. Denk nach. Warte, ich will es dir erklären: „ Lohnt es sich, sich über unnütze Dinge aufzuregen? Es geht doch um Wahrnehmung, Perspektiven, Änderung – Veränderung“.

 

„Worum geht’s?“

 

„He halt mal an,“ erwidert die Stimme,  „atme, fühle, spüre deinen Sinnen nach, deinen fünf Sinnen“.

 

„Ich will nicht, ich will nicht hören, fühlen, sehen und was noch? „schreit Anna hysterisch. 

Und außerdem, jetzt reicht es mir. Ich will einfach nur aus der Haut fahren.

 

„He, du! Du hast doch alles was du zum wirklichen Leben brauchst.“

 

„Ja, ja, meine Sinne die gleich explodieren, wenn dieser Irrsinn hier so weitergeht. 

Aber jetzt sag mir sofort, wer du bist.

 

„Ich bin Fünf.“ erwidert die Stimme. 

„Fünf in einem, einer für fünf. Keiner sollte ohne den andern sein. 

Ich bin Babuschka, die Mutter, der Vater, die Kinder. Ich bin Fünf. 

Fünf Erdteile deiner Erde, 

5 Elemente deiner Welt, 

5 Sinne deines Ichs. …….

 

Und jetzt,“ fragt die Stimme in die plötzlich entstandene Stille. 

„geht es dir etwas besser?“  Sie wartet auf keine Antwort und fährt mit ihrer Erklärung fort: 

„Alle nennen mich Babuschka. Aber eigentlich heiße ich ja Matrojschka. Es macht mir nichts mehr aus, dass mich alle mit falschen Namen rufen. Was bedeutet schon ein Name. Nichts oder doch vieles? Man gewöhnt sich daran, man muss. Trotz – dem – ich, ich bin Fünf und wer bist du?“ Fragend wendet sie sich an Anna.“

 

„Ich weiß nicht mehr.“ Anna blickt auf die Puppe. „Es ist unter meine Haut gekrochen, hat sich in mir festgebissen, es muss endlich raus“… Anna tobt durch den Raum, schreit wie irre geworden, hebt abermals den Fuß  und tritt alles hinunter, tief hinunter.

 

Der Stahlkessel wandelt sich in schmelzendes Eis.                                         Rb Okt. 2017